Wenn die letzten Touristen die steilen Stufen zum Hafen hinuntergehen und das Rauschen der Wellen wieder die Stimmen auf den Terrassen übertönt, kehrt Rovinj zu sich selbst zurück. Die Stadt verändert sich – aber sie verliert ihren Rhythmus nicht. Der Trubel verschwindet, doch das Leben bleibt – echt, leise, tief atmend unter den Steinfassaden und Fenstern, die der Wind salzig gewaschen hat.
Der Herbst hat hier seinen eigenen Klang. Es ist nicht der Lärm der Hochsaison, sondern das sanfte Geräusch des Windes, der den Duft von Salz, Oliven und Holz durch die Gassen trägt. Über der Kirche der Heiligen Euphemia hängt ein dunkler, dramatischer Himmel, während das Meer darunter ruhig bleibt – als würde es die Veränderung der Jahreszeit verstehen.
Am Kai flicken die Fischer ihre Netze. „Jetzt fängt man weniger, aber man lebt ruhiger“, sagt Toni, der seit vierzig Jahren auch im Januar hinaus aufs Meer fährt. „Das Meer schläft nie. Es ruht sich nur von den Touristen aus.“ Seine Hände sind aufgeraut vom Salz, doch in seinen Augen liegt diese Wärme, dieser stille Stolz, den nur die Menschen aus Istrien kennen.
In der Altstadt, unter den Häusern, die fast bis ans Wasser reichen, öffnen kleine Galerien und Ateliers. Künstler, die im Sommer keinen Platz fanden, zeigen nun ihre Werke, trinken Kaffee am Platz und malen den Himmel, der sich jeden Tag anders zeigt. Der Duft von Kaffee, Kaminholz und Olivenöl vermischt sich mit dem Klang der Möwen – ein Bild, das nichts mit Tourismus zu tun hat, aber alles mit dem wahren Leben.
Die engen Gassen sind nass vom Regen, das Licht reflektiert in den Steinen. Das Blau des Himmels ist tiefer, der Stein grauer, die Luft klar und frisch. Rovinj wirkt in diesen Tagen wie ein Film in Zeitlupe. Niemand eilt. Die Fischhalle schließt mittags, die Bäckereien backen nur so viel, wie das Dorf essen kann. Die Menschen grüßen sich beim Namen. „Bis später am Hafen“ ist hier keine Floskel, sondern eine Einladung.
Auf den Hügeln zwischen Bale und Rovinj hängen Oliven und Reben schwer vom Herbst. In den Presshäusern summen die Maschinen, das neue Öl fließt dick und goldfarben in die Flaschen. „Das ist das wahre Leben in Istrien“, sagt ein alter Ölmüller. „Im Winter ist alles echter. Im Sommer ist es schön, aber schnell. Jetzt ist es wahr.“
Am Abend wird die Stadt noch stiller. Das Wasser spiegelt die Lichter, und in den Restaurants entlang der Promenade herrscht eine ruhige, warme Atmosphäre. Auf den Speisekarten stehen keine touristischen Klassiker mehr – sondern Kabeljau, istrische Eintöpfe und warme Süßspeisen.
Der Geschmack des Herbstes ist hier ganz eigen. Besonders beliebt ist Stockfisch auf istrische Art (Bakalar na bijelo) – ein Gericht, das man langsam und mit Geduld kocht, während draußen die Wellen an die Felsen schlagen. In einer kleinen Taverne in der Altstadt findet jedes Jahr im November eine stille „Woche des Stockfischs“ statt – ohne Werbung, ohne Andrang, nur für Einheimische.
Im Park Zlatni Rt riecht es nach Kiefern und Meer. Die Wege sind leer, die Luft feucht, der Himmel silbrig. Kein Lärm, kein Andrang – nur Menschen, die spazieren, joggen, den Sonnenuntergang genießen. Ein Sonnenuntergang, der nicht für Kameras gedacht ist, sondern für die Augen.
Im Dezember schmückt sich Rovinj mit Lichtern. Der Advent hier ist klein, aber ehrlich. Kein Kitsch, kein Gedränge – nur ein paar Stände mit Glühwein, Musik und der Blick aufs Meer. Der Winter riecht nach Holz, das Leben nach Ruhe.
Vom Aussichtspunkt bei der Kirche Euphemia aus sieht man die Inseln in der Dämmerung, grau und still. In diesem Moment versteht man: Rovinj schläft nie. Er atmet nur langsamer – tiefer, echter, schöner.
Zoran / TV Wien



